Im Kampf gegen die anthropogene Erderwärmung zwingt die Europäische Union die Industrie nicht nur bei CO2-Emissionen zum Kurswechsel. Sie beschränkt richtigerweise auch das Inverkehrbringen technischer Gase mit hohem Treibhauspotential (Global Warming Potential, GWP). Solche Gase sind in Anhang I der F-Gas-Verordnung (EU) 517/2014 aufgezählt. Hierzu gehört unter anderem R134a (Tetrafluoroethane). Es zeichnet sich durch eine sehr hohe Kompressionsfähigkeit aus, weshalb es sich sehr gut für den Einsatz in Kältemaschinen bzw. Wärmepumpen, Druckmessern oder Sprays eignet. Leider ist es mit einem GWP von 1430 auch extrem klimaschädlich. Die EU verbietet daher einen Einsatz in Produkten, bei denen ein Entweichen in die Atmosphäre wahrscheinlich ist. Die verbotenen Einsatzarten zählt Anhang III der Verordnung abschließend auf. Hierzu gehört insbesondere der Einsatz von R134a als technisches Aerosol (Nr. 17 von Anhang III).
Die Landesdirektionen der Bundesländer haben sich nun um die Jahreswende darauf verständigt, auch reines, in Ventilflaschen geliefertes R134a als technisches Aerosol zu behandeln – selbst wenn es zur Verwendung als Gefäßfüller in Druckmessern von Heizungsanlagen bestimmt ist, die nur durch Fachfirmen gehandhabt werden. Ein Entweichen in die Atmosphäre ist dabei unwahrscheinlich, auch fällt diese Art der Verwendung unter keine andere Kategorie des Anhang III. Die Landesdirektionen folgen damit einer Entscheidung eines bei CLIMA der Europäischen Kommission angesiedelten exekutiven Gremiums.
Die Entscheidung verstößt gegen den Wortlaut, die Regelungssystematik und den Zweck der Verordnung und ist rechtswidrig.
1. Wortlaut
a) R134a kein Aerosol mangels Zerstäuber (Art. 2 Abs. 28 der Verordnung)
Eine Einstufung von in Ventilflaschen transportierten R134a als technisches Aerosol verbietet sich bereits nach dem Wortlaut der Verordnung. Gemäß Art. 2 Abs. 28 der Verordnung ist ein technisches Aerosol
ein Aerosolzerstäuber, der bei der Instandhaltung, Reparatur, Reinigung, Prüfung, Desinsektion und Herstellung von Erzeugnissen und Einrichtungen, der Installation von Einrichtungen und anderen Anwendungen verwendet wird.
Ein Aerosol bedarf demnach eines Zerstäubers. Die zum vorgeschriebenen Einsatz des Gases verwendeten Ventilflaschen verfügen über keinen Zerstäuber, da eine voluminöse oder flächige Anwendung des Gases überhaupt nicht bezweckt ist. Es soll vielmehr verlustfrei, also ohne Freisetzung in die Umwelt, in geschlossene Anlagen geleitet werden, um dort als Arbeitsmedium zu dienen. Das Gas stellt also bereits mangels Zerstäuber kein Aerosol im Sinne von Art. 2 Abs. 28 der Verordnung dar.
Dies spiegelt sich auch in der Kennzeichnungspflicht nach Art. 12 Abs. 1 lit. f und g der Verordnung wider. Diese unterscheidet ausdrücklich zwischen
Aerosolzerstäuber[n], die fluorierte Treibhausgase enthalten
und sonstigen
Behälter[n] für fluorierte Treibhausgase.
Die Vorschrift stellt klar, dass Behälter von F-Gasen mit Zerstäuber und solche ohne Zerstäuber in separate Kategorien fallen, die unabhängig voneinander adressiert werden.
b) R134a kein Aerosol mangels in Gas suspendierter Partikel
Reine Gase fallen auch nicht unter den Aerosol-Begriff der CLP-Verordnung (EG) 1272/2008. Diese findet vorliegend zwar keine direkte Anwendung, lässt sich aber zur Auslegung unterstützend heranziehen. Anhang 1 Ziffer 2.3.1 der CLP-Verordnung definiert Aerosole als
alle nicht nachfüllbaren Behälter aus Metall, Glas oder Kunststoff, einschließlich des darin enthaltenen verdichteten, verflüssigten oder unter Druck gelösten Gases mit oder ohne Flüssigkeit, Paste oder Pulver, die mit einer Entnahmevorrichtung versehen sind, die es ermöglicht, ihren Inhalt in Form von in Gas suspendierten festen oder flüssigen Partikeln als Schaum, Paste, Pulver oder in flüssigem oder gasförmigem Zustand austreten zu lassen.
Aerosole im Sinne der CLP-Verordnung setzen also im (Treib-) Gas suspendierte Partikel voraus. In der Regel werden diese das eigentliche Produkt darstellen.
Dem korrespondiert die Liste typischer Anwendungen für R134a im Guidance Dokument der Europäischen Kommission über die Einführung vorbefüllter Einrichtungen.
Europäische Kommission, Informationen für Einführer von Einrichtungen, die fluorierte Treibhausgase enthalten, über die Verpflichtungen gemäß der F-Gas-Verordnung der EU (Leitlinien: Einfuhr von vorbefüllten Einrichtungen, Version 2.6, Februar 2020
Auch danach handelt es sich bei R134a in Aerosolen in der Regel um
Treibgas für medizinische und technische Aerosole
In reinem R134a gibt es jedoch keine darin suspendierten Partikel; das Gas selbst ist das Produkt. Mangels im Gas suspendierter Partikel handelt es sich auch nach der Definition in Anhang 1 Ziffer 2.3.1 der CLP-Verordnung nicht um ein Aerosol. Und mangels eines durch das R134a getriebenen Hauptprodukts handelt es sich auch nicht um ein Aerosol im den von der Europäischen Kommission identifizierten Anwendungsfällen zugrunde liegenden Sinne.
2. Zweck
Auch eine Auslegung der Verordnung im Sinne praktischer Wirksamkeit begründet keine Anwendung von Anhang III Nr. 17 der Verordnung auf das vorliegende Produkt. Zweck der Verordnung ist die Minderung von Emissionen starker Treibhausgase. Diese werden neben Leckage überwiegend durch den „emittierenden Gebrauch von Aerosol-Sprays oder Lösungen“ verursacht:
Emissions occur mainly during emissive uses (of aerosol sprays or solvents for example) or due to leakage during the operation and disposal of products and equipment that contain F-gases.
Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on fluorinated greenhouse gases - COM/2012/0643 final - 2012/0305 (COD)
In der Tat liegt es bei Sprays auf der Hand, dass das zum Transport des eigentlichen Produkts genutzte Treibgas bei der Verwendung auch aus dem Gefäß in die Umgebungsluft und Atmosphäre gelangt.
Bei Gefäßfüllern für Druckmesser handelt es sich jedoch weder um ein Spray noch um eine Lösung. Ein „emissive use“ ist nicht vorgesehen, das Gas soll vielmehr verlustfrei in die Zielanlage gelangen, um dort seinem eigentlichen Zweck dienen zu können.
Auch die von der Kommission befürchtete Leckage während des Betriebs oder der Entsorgung von Anlagen steht bei einer derartigen Verwendung nicht in relevantem Ausmaß zu befürchten. Anders als Kühlschränke und andere Kühlgeräte sind Heizungsanlagen stationär und werden nicht durch Verbraucher bewegt oder gar entsorgt. Ihre Installation, Wartung und Entsorgung erfolgt durch Fachkräfte, von deren Umgang mit den Anlagen ein weitaus geringeres Emissionsrisiko ausgeht als vom Umgang von Verbrauchern mit ihren mobilen Kühlgeräten.
Da kein „emissive use“ vorgesehen ist und keine relevante Leckage zu befürchten ist, ist eine Auslegung von Anhang III Nr. 17 der Verordnung gegen den Wortlaut also auch durch den Zweck der Verordnung nicht geboten.
3. Systematik
Auch aus systematischen Gesichtspunkten verbietet sich eine Anwendung von Anhang III Nr. 17 der Verordnung auf reines R134a.
So untersagt Art. 11 der Verordnung das Inverkehrbringen der in Anhang III genannten Erzeugnisse, nicht aber generell das Inverkehrbringen der in Anhang I genannten Gase. Außer in den in Anhang III genannten Formen können die in Anhang I genannten Gase also im Rahmen des Quotensystems weiter in Verkehr gebracht werden. Wenn aber reines R134a bereits ein Aerosol im Sinne von Anhang III Nr. 17 wäre, bliebe kein Raum mehr für verkehrsfähiges R134a. Damit würde der Zweck des Quotensystems nach Art. 15 der Verordnung unterlaufen und sein Anwendungsbereich faktisch eliminiert. Eine Nutzung der von der Verordnung ausdrücklich vorgesehenen Quoten ist ohne den Transport der Gase in Transportgefäßen nicht denkbar.
Dasselbe ergibt sich aus den weiteren in Anhang III genannten Erzeugnissen. Verboten ist u.a. das Inverkehrbringen von Reifen, Schuhen und Haushaltskühlschränken. Nicht verboten sind dagegen Heizungsanlagen, die zur Steuerung ihres Betriebs R134a im Druckmesser einsetzen. Das Verbot von mobilen Verbraucherartikeln, nicht aber von stationären, durch Fachkräfte gehandhabten Heizungsanlagen, ist kein Zufall, sondern Konsequenz des mit dem jeweiligen Erzeugnis verbundenen Emissionsrisikos (siehe bereits oben).
Sind aber mit F-Gasen gesteuerte Heizungsanlagen nicht verboten, muss auch ihre Befüllung und das dafür erforderliche Inverkehrbringen der Gase erlaubt sein. Dasselbe ergibt sich aus dem Umstand, dass sogar in Anhang III Nr. 17 selbst technische Aerosole erlaubt bleiben, wenn sie für medizinische Anwendungen eingesetzt werden. Die Herstellung solcher Aerosole setzt aber denklogisch den Einsatz in der Produktion, mithin das Inverkehrbringen des reinen F-Gases als Bestandteil des Medizinal-Aerosols voraus.
4. Zusammenfassung
Die Entscheidung, reines, zur Verwendung in nur von Fachfirmen gehandhabten Druckmessern bestimmtes R134a als technisches Aerosol im Sinne von Anhang III Nr. 17 der Verordnung einzustufen, ist rechtswidrig. Gemäß Art. 2 Abs. 28 und Art. 12 Abs. 1 lit. f und g der Verordnung bedürfen Aerosole eines Zerstäubers. Sie erfordern gemäß Anhang 1 Ziffer 2.3.1 der CLP außerdem im Gas suspendierter Partikel. Die Verwendung in Heizungen weist nicht das Emissionspotential von Spraydosen und mobilen Haushaltsgeräten auf. Und die Zulässigkeit von nicht in Anhang III genannten oder der Ausnahme von Nr. 17 unterfallenden Erzeugnissen impliziert denklogisch die Verkehrsfähigkeit reinen R134a für deren Produktion.